Die „Alten Pflichten“ von James Anderson (1723)
Die „Alten Pflichten“ von James Anderson aus dem Jahr 1723 bilden das Grundgesetz der regulären Freimaurerei. Die darin aufgeführten „Allgemeinen Kapitel“ behandeln folgende Themen:
- Von Gott und der Religion
- Von der obersten und den nachgeordneten staatlichen Behörden
- Von den Logen
- Von Meistern, Aufsehern, Gesellen und Lehrlingen
- Von der Leitung der Bruderschaft bei der Arbeit
- Vom Betragen in verschiedenen Situationen
Die „Alten Pflichten“ sind ein historisches Dokument aus dem Jahr 1723. Die darin geforderte Loyalität zum Staat ist im Kontext ihrer Entstehungszeit zu verstehen: Sie sollte die Freimaurerei vor Verfolgung schützen und ihre Unabhängigkeit sichern.
Freimaurer sind keine „Staatsdiener“ im Sinne von blindem Gehorsam gegenüber jeder Regierung oder jedem System. Vielmehr stehen sie für universelle Werte wie Menschenwürde, Freiheit, Toleranz und Brüderlichkeit ein. Wenn ein Staat diese Werte verletzt, ist es Aufgabe der Freimaurer, für diese Grundsätze einzutreten – auch gegen Widerstände. Die Geschichte, insbesondere die Verfolgung der Freimaurer im Nationalsozialismus, zeigt, dass die Freimaurerei kein bloßer „Staatsdiener“ ist, sondern eine ethische Gemeinschaft mit eigenem Wertefundament.
I. Von Gott und der Religion
Ein Maurer ist verpflichtet, dem Sittengesetz zu gehorchen. Wer die Kunst recht versteht, wird weder ein engstirniger Gottesleugner noch ein bindungsloser Freigeist sein. Während früher die Zugehörigkeit zur jeweils geltenden Religion gefordert wurde, gilt heute, dass jeder Maurer der Religion verpflichtet ist, in der alle Menschen übereinstimmen, wobei die persönlichen Überzeugungen respektiert werden. Freimaurer sollen gute, redliche Männer von Ehre und Anstand sein, unabhängig von ihrem Bekenntnis. So wird die Freimaurerei zu einer Stätte der Einigung und fördert wahre Freundschaft unter Menschen, die sich sonst fremd geblieben wären.
II. Von der obersten und den nachgeordneten staatlichen Behörden
Ein Maurer ist ein friedliebender Bürger des Staates, in dem er lebt oder arbeitet. Er darf sich nie an Aufständen oder Verschwörungen beteiligen und soll den Behörden gegenüber loyal sein. Die Freimaurerei hat stets unter Kriegen und Unruhen gelitten, weshalb Könige und Fürsten die Bruderschaft wegen ihrer Friedensliebe und Treue zum Staat gefördert haben. Sollte ein Bruder zum Rebellen werden, darf die Loge seine Haltung nicht unterstützen, auch wenn sie ihn als unglücklichen Menschen bemitleidet. Die Bindung an die Loge bleibt jedoch bestehen, solange kein weiteres Vergehen vorliegt.
Wichtig: Diese Loyalität bedeutet nicht, dass Freimaurer jede Staatsform oder jedes System kritiklos unterstützen. Die Freimaurerei steht für Werte, die über das jeweilige politische System hinausgehen. Wenn ein Staat diese Werte verletzt, geraten Freimaurer zwangsläufig in Konflikt mit ihm – wie es etwa im Nationalsozialismus der Fall war.
III. Von den Logen
Die Loge ist der Ort, an dem Maurer zusammenkommen und arbeiten. Jeder Bruder muss einer Loge angehören und deren Satzungen sowie die allgemeinen Anordnungen befolgen. Die Mitglieder einer Loge müssen gute, aufrichtige Männer von freier Geburt und gutem Ruf sein. Frauen, Leibeigene, sittenlose oder übel beleumundete Personen sind ausgeschlossen.
IV. Von Meistern, Aufsehern, Gesellen und Lehrlingen
Vorrechte unter Maurern beruhen allein auf wahrem Wert und persönlichem Verdienst. Meister und Aufseher werden nicht nach Alter, sondern nach Verdienst gewählt. Ein Meister soll einen Lehrling nur aufnehmen, wenn ausreichend Beschäftigung vorhanden ist und der Bewerber gesund und von ehrenhaften Eltern ist. Die Ämterfolge – vom Lehrling zum Gesellen, Aufseher, Meister, Großaufseher bis zum Großmeister – richten sich nach Verdienst und Befähigung. Den Leitern der Loge ist mit Ergebenheit, Achtung und Bereitschaft zu gehorchen.
V. Von der Leitung der Bruderschaft bei der Arbeit
Alle Maurer sollen an den Arbeitstagen rechtschaffen arbeiten, um an den Feiertagen in Ehren leben zu können. Der erfahrenste Geselle wird zum Meister oder Aufseher gewählt. Die Werkleute sollen sich höflich und respektvoll verhalten und einander als Brüder oder Genossen ansprechen. Der Meister soll das Werk für den Bauherrn redlich und preiswert ausführen. Niemand soll einen Bruder um seinen Wohlstand beneiden oder ihm die Arbeit wegnehmen. Jüngere Brüder sollen unterwiesen werden, damit die brüderliche Liebe wächst. Nur von der Großloge genehmigte Werkzeuge dürfen verwendet werden.
VI. Vom Betragen
- 1. In geöffneter Loge: Keine privaten Beratungen oder Gespräche ohne Erlaubnis des Meisters. Respektvolles Verhalten gegenüber allen Anwesenden ist Pflicht. Streitigkeiten werden innerhalb der Loge geklärt.
- 2. Nach geschlossener Loge: Fröhliches Beisammensein ist erlaubt, jedoch ohne Übermaß. Persönliche Streitigkeiten, insbesondere über Religion, Nation oder Politik, sind zu vermeiden.
- 3. Wenn Brüder außerhalb der Loge zusammenkommen: Höflicher Umgang und gegenseitige Unterstützung sind selbstverständlich. Die Würde jedes Bruders ist zu achten.
- 4. In Gegenwart von Profanen: Diskretion ist geboten. Gespräche über Logenangelegenheiten sind zu vermeiden.
- 5. Daheim und in der Nachbarschaft: Verhalten Sie sich stets ehrenhaft und verantwortungsbewusst. Logenangelegenheiten bleiben vertraulich.
- 6. Gegenüber einem unbekannten Bruder: Vorsichtige Prüfung ist angebracht. Erkennt man einen echten Bruder, ist ihm mit Achtung und, wenn nötig, mit Hilfe zu begegnen.
Zum Abschluss
Alle diese Pflichten sollen von jedem Bruder verinnerlicht und befolgt werden, ebenso wie weitere, die auf andere Weise mitgeteilt werden. So wird die brüderliche Liebe gepflegt, die das verbindende Band und der Ruhm der alten Bruderschaft ist. Zank, üble Nachrede und Verleumdung sind zu vermeiden. Sollte ein Bruder Unrecht erfahren, ist zunächst die eigene oder seine Loge anzurufen, dann die Großloge. Prozesse sollen nur geführt werden, wenn es keine andere Möglichkeit gibt. Die Vermittlung durch Meister und Brüder ist stets anzunehmen. Sollte ein Rechtsstreit unvermeidlich sein, ist er ohne Leidenschaft und im Geiste der brüderlichen Liebe zu führen.
Amen – so soll es sein!
Der vorliegende Text folgt der 1966 von Kirchmeyer, Möller, Vollkammer und Bona im Auftrag der Großloge A.F.u.A.M.v.D. besorgten Übersetzung. Der Gesamttext, der zudem die Allgemeinen Anordnungen sowie ein Faksimile der englischen Originalausgabe von 1723 enthält, kann über den Buchhandel unter dem Titel: »Die Alten Pflichten von 1723«, in neuer Übersetzung herausgegeben von der Großloge A.F.u.A.M. von Deutschland, Verlag DIE BAUHÜTTE BONN, 12. Aufl., 1996, ISBN: 3-930139-00-6 bezogen werden.